Kritik an Feier für Kölner Fotograf„Chargesheimer muss von Köln noch entdeckt werden“

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28.12.2023

Chargesheimer neu

Zeitungsfrau auf der Schildergasse um 1959. AusChargesheimers Fotobuch „Cologne intime“.

Fotograf Chargesheimer wäre im Mai 100 Jahre alt geworden, aber seine Bedeutung für die Stadt wirkt in den Feiern eher unterbelichtet

„Chargesheimer muss von Köln noch entdeckt werden“, sagt der Verleger Markus Schaden. Bedauerlich, denn Zeit war genug, steht in diesem Jahr doch der 100. Geburtstag von Carl-Heinz Hargesheimer an, der sich Chargesheimer nannte und mutmaßlich am 31. 12. 1971 in seiner Kölner Wohnung Suizid beging. Zwischenzeitlich war auch sein Grab auf dem Melaten Friedhof verschollen.

Kaum ein anderer Fotograf dokumentierte nach dem Zweiten Weltkrieg die urbane Entwicklung Deutschlands so leidenschaftlich wie er. Und das nicht alleine mit der Kamera. Neben seiner Straßenfotografie – legendär wurde der Fotoband „Unter Kranenbäumen“ – experimentierte er mit fotografischen Abstraktionen, Farbtrennungen, Acrylskulpturen, Lichtinstallationen und Projektoren. Fließend wechselte er die Medien seiner Zeit.

Zehntausende Negative aus dem Nachlass von Chargesheimer befinden sich im Rheinischen Bildarchiv, das vor gut einem Jahr dem Historischen Stadtarchiv zugeordnet wurde.

Es ist schade, dass Chargesheimers künstlerisches Interesse nicht so wahrgenommen wurde.
Barbara Engelbach, Kuratorin

Ob dort noch eine digitale wissenschaftliche Aufarbeitung möglich ist, darf angesichts der Personalnot stark bezweifelt werden. Im Museum Ludwig, das mit seiner eigenen Fotosammlung und der Sammlung Gruber Schätze von Weltrang besitzt, befindet sich auch ein üppiges Konvolut von Positiven aus Chargesheimers Nachlass.

Es erfordert eine Gedächtnisleistung sich an aufwendige Ausstellungen zur Fotografie in Köln zu erinnern.

Die gab es 1994 mit der monografischen Gala von Richard Avedon oder 2004 mit Thomas Weskis Bilderschau „Cruel and Tender“. 2007 stand Chargesheimer auf dem Programm. Da rettete ein vorzüglicher Katalog eine verpatzte Ausstellung, die Chargesheimer zur lokalen Größe schrumpfen ließ.

Chargesheimer: Geburtstag in der „Besenkammer“

Eine Auswahl seiner Arbeiten aus den 1950er Jahren präsentiert Barbara Engelbach ab dem 21. April im Fotoraum des Museums. Kenner der Fotografie in Köln bezeichnen diesen Raum wechselweise als „Besenkammer“, „Abstellkammer“ oder „Grabkammer“.

In der Szene ist die Vermutung zu hören, dass „die Wertschätzung der Fotografie in der Spitze des Museums nicht so groß zu sein scheint, als dass sich an solch einem Geburtstag ein größeres Projekt entzünden könnte.“ Barbara Engelbach wird als Kuratorin das Beste aus der Situation machen. Sie schätzt Chargesheimers „Klarheit, das Rohe und Unsentimentale“. Obwohl er das Dokumentarische mit dem Erzählerischen verbindet, gleitet er für sie keinesfalls „in einen süßlichen Blick“ ab.

Tatsächlich kann man Chargesheimer gerade mit diesen Fotografien lieben lernen, die das Leben der kleinen Leute und eine schwer gezeichnete Stadt voller Vitalität zeigen. Dazu wird Barbara Engelbach Lichtgrafiken und einige seiner Meditationsmühlen präsentieren.


Hintergrund

Im 19. Mai 2024 wäre der Kölner Fotograf Karl Heinz Hargesheimer (1924–1971) 100 Jahre alt geworden. Das Museum Ludwig zeigt aus diesem Anlass vom 27. April bis 10. November in seinem Fotoraum eine Auswahl seiner Werke unter dem Titel „Chargesheimer“. Die Präsentation konzentriert sich auf die 1950er Jahre. Miriam Szwast zeigt bereits ab dem 9. März im Museum Ludwig in der Reihe „Hier und jetzt“ Basalt-Aufnahmen, die Chargesheimer in einem Steinbruch aufnahm. (TL)


Die Aktualität in Chargesheimers Werk kommt in den 1960er Jahren zum Ausdruck. In seinen Themen, berührt es den Nerv einer Gesellschaft, die den Preis des Wohlstands ebenso gerne überhört, wie den Gedanken an ihre Vergangenheit. 1962 stellte Luigi Nono seine Skandaloper „Intoleranza 1960“ an den Städtischen Bühnen in Köln vor. Mit Hilfe von Projektoren schuf Chargesheimer ein Bühnenbild, auf dem SS Offiziere und namenlos Gefolterte im KZ zu sehen waren.

Immer dunkler wurden nun seine Bilder, immer schwieriger wurde er im Umgang mit anderen. Im 1970 erschienenen Bildband „Köln 5 Uhr 30“ sieht man, wie der Stadtkörper von erbarmungslos kahlen Betonpisten zerstückelt wurde. Asphalt essen Seele auf. Es ist diese städtebauliche Tatsache, der wir uns heute mit einer Verkehrswende zu stellen haben.

Chargesheimers internationale Entdeckung steht noch aus, war er der bedeutendste Kölner Fotograf nach dem zweiten Weltkrieg? Eusebius Wirdeier – selbst Fotograf und ausgewiesener Kenner der Kölner Fotohistorie – gibt zu bedenken, dass auch Hermann Claasen und Walter Dick nicht übersehen werden dürften. Barbara Engelbach bringt Bernhard Blume und Jürgen Klauke ins Spiel, denen selbstredend der Künstlerstatus bescheinigt wird.

„Es ist schade, dass Chargesheimers künstlerisches Interesse nicht so wahrgenommen wurde“, sagt sie. „Daran hat er gelitten“ meint Markus Schaden. Aber er weist auch auf Chargesheimers besonderen Humor hin. Den Eintritt in eine gesellige Runde begleitete er gerne mit dem Satz: „Kammer met laache?“

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