Umweltbundesamt-Chef Dirk Messner„Wir müssen unsere Art zu bauen wirklich ganz neu denken“

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In Deutschland ist der Wohnungsbau ins Stocken geraten.

In Deutschland ist der Wohnungsbau ins Stocken geraten.

Umweltbundesamt-Chef Dirk Messner ist der Mann für die unbequemen Botschaften in Sachen Klimaschutz. Im Interview spricht der Behördenchef über hohe Energiepreise und die Wohnungen der Deutschen – die seien oft zu groß.

Unternehmen und Bürger ächzen unter den immer noch vergleichsweise hohen Energiepreisen. Diese haben aber durchaus auch ihren Sinn, sagt der Präsident des Umweltbundesamtes, Dirk Messner, im Interview mit Maik Nolte und Dirk Fisser. Noch wichtiger für das Erreichen der Klimaziele sei aber das Thema Bauen und Wohnen.

Herr Messner, jüngst konnte das Umweltbundesamt vermelden, dass der CO2-Ausstoß 2023 deutlich zurückgegangen ist. Der Wermutstropfen: Das dürfte auch am niedrigeren Energieverbrauch in einigen Wirtschaftszweigen gelegen haben. Muss es der Wirtschaft also schlechter gehen, damit die Klimaziele erreichbar bleiben?

Unsere Daten zeigen da Gott sei Dank etwas anderes. Und trotz all der schlechten Nachrichten bin ich vom Naturell her ein Optimist. Denn die Daten zu den Treibhausgas-Emissionen für 2023 und die Projektion bis 2030 haben durchaus interessante Hinweise ergeben: Wenn wir die Maßnahmen, die jetzt auf dem Tisch liegen und die jetzt schon gesetzlich verankert sind, um- und durchsetzen, können wir die Klimaziele erreichen. Das ist beachtlich, denn noch vor zweieinhalb Jahren haben wir bei der Projektion eine Lücke von mehreren hundert Millionen Tonnen bei den Treibhausgas-Emissionen bis 2030 gesehen. Die Lücke ist jetzt bei null – das ist ein gutes Zeichen. Und bei der aktuellen Projektion rechnen wir mit einem Wirtschaftswachstum von 1,4 Prozent in den kommenden Jahren – also nicht mit einer Krise, die uns die Zahlen schönrechnet.

Heißt: Auch wenn viele Branchen unter den hohen Energiepreisen ächzen, sind diese am Ende wichtig fürs Kurshalten?

Mit der Verteuerung der Energie durch die CO2-Bepreisung wollen wir ja den Anreiz setzen, Emissionen zu reduzieren. Wir brauchen solche Preissignale, damit wir mit unserem begrenzten Treibhausbudget effizienter umgehen und den Umstieg Richtung Klimaneutralität schaffen. Diese Preissignale dürfen aber nicht so radikal ausfallen, dass man die Wirtschaft damit lähmt. Klimaneutralität und eine leistungsfähige Wirtschaft sind kein Widerspruch. Wir sind uns mit der Wirtschaft einig, dass die CO2-Bepreisung das zentrale Klimaschutzinstrument ist.

Ein großer Teil der Emissionen entsteht im Gebäudesektor. Auf der einen Seite müsste der Energiehunger dort also reduziert werden, auf der anderen Seite muss mehr gebaut werden, nicht zuletzt, weil Hunderttausende Wohnungen fehlen. Wie geht das zusammen?

Auch hier zeigen wir in unseren Studien, dass das zusammengeht. Wir forschen zu neuen Gebäudekonzepten, die sowohl die ökologische Dimension betrachten als auch die Sozialverträglichkeit. Der European Green Deal besagt ja, wir müssen vier Dinge hinkriegen: Klimaneutralität, die Zirkularität, also den Kreislauf von Ressourcen, „zero pollution“ – also die Minimierung der Schadstoffbelastung durch Herstellung, Produkte und Materialien – und schließlich den Schutz der Ökosysteme. Der Gebäudesektor verbraucht immense Ressourcen, rund 40 Prozent der Treibhausgas-Emissionen fallen in diesem Bereich an, außerdem 50 Prozent aller Ressourcenflüsse weltweit. Die Gebäude sind also ein Schlüsselelement im Übergang zur Nachhaltigkeit, und wenn wir da nicht vorankommen, verlieren wir das Rennen. Zentral ist die Frage, wie wir da mehr Zirkularität erreichen. Haben Sie eine Ahnung, wie hoch die Quote hochwertigen Recyclings im Gebäudebereich ist – sich also Materialien in ihrer ursprünglichen Funktion wiederverwerten lassen?

Ich vermute mal: nahezu null?

Unter drei Prozent! Es ist aber möglich, viel besser zu werden. Der Architekt Werner Sobeck etwa baut Gebäude mit 85 Prozent Recyclingfähigkeit. Und sagt: Das kostet in der Herstellung zehn bis 15 Prozent mehr – über den gesamten Lebenszyklus betrachtet wahrscheinlich eher weniger. Wir müssen unsere Art zu bauen wirklich ganz neu denken. Und da ist auch noch viel Spielraum. Generell plädieren wir dafür, sparsam beim Neubau zu sein und stattdessen den Blick stärker auf die Weiterentwicklung des Bestandes richten, auch bei der Schaffung neuen Wohnraumes.

Wird sich auch das Wohnverhalten grundlegend ändern müssen? Beispielsweise durch geringere Wohnflächen?

Die Veränderungen in unserem Wohnverhalten sind bereits jetzt messbar: Bei der Zusammenstellung der Daten zu den Treibhausgas-Emissionen haben wir festgestellt, dass die Deutschen nach dem Energie-Schock, ausgelöst durch den Krieg gegen die Ukraine, begonnen haben, anders mit ihrer Heizung umzugehen. Wir beobachten einen bewussteren Umgang mit Energie. Viele Menschen gehen effizienter mit ihrer Heizung um und sparen so auch noch Geld. Wenn es jetzt noch gelingt, nach und nach auf Wärmepumpen und grüne Fernwärme umzusteigen, machen wir gute Fortschritte. Wir werden aber auch über die Quadratmeterzahl, auf der Menschen leben, sprechen müssen – da geht es ja letztlich um Flächenverbrauch. Da wären wir aber wieder bei den Problemen auf dem Wohnungsmarkt. Manche Menschen leben auch deswegen in viel zu großen Wohnungen, weil sie mangels Alternativen gar nicht umziehen können.

Das gilt sowohl für die Städte als auch für die ländliche Region ...

Die städtischen Räume sind für viele als Wohnort sehr attraktiv, den ländlichen Raum haben wir dagegen vernachlässigt. Da muss man mehr tun, das gilt auch für den Verkehrsbereich. Wir sagen den Menschen: Kauft euch ein E-Auto – das ist teuer. Oder: Steigt in den Bus – aber der ist auf dem Land nicht da. Wir müssen die ländlichen Räume so ausgestalten, dass wir die Gebäudebestände dort wieder attraktiv machen. Das heißt auch Ausbau und Flexibilisierung des öffentlichen Verkehrs und Bau von sicheren Fahrradwegen. Die Digitalisierung und das mobile Arbeiten machen da vieles möglich bei der Einsparung von Wegen.

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