Vom Richter zum ErmittlerWie die NRW-Regierung die Not der Staatsanwälte lindern will

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Ein Oberstaatsanwalt bindet einen Stapel Gerichtsakten (Symbolbild)

Ein Oberstaatsanwalt bindet einen Stapel Gerichtsakten (Symbolbild)

NRW reagiert auf Personalnot bei der Staatsanwaltschaft: Mit Umpositionierungen, mehr Ausbildungsplätzen und niedrigeren Notenanforderungen sollen neue Kräfte gewonnen werden.

Weil Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in Arbeit ersticken, will ihnen die NRW-Landesregierung helfen. Unter anderem sollen Richter zu Staatsanwälten werden. Ist das eine gute Idee oder „Flickschusterei“, wie die Opposition sagt? Ein Überblick.

Was ist der Hintergrund dieser Maßnahme?

Das Staatsanwältinnen und Staatsanwälte gestresst sind, ist nicht neu. Die Belastung steigt seit Jahren, ablesbar am Personalbedarfsberechnungssystem „PEBB§Y“, dem ein Normal-Wert von 100 zugrunde liegt. Demnach stieg die „Belastungsquote“ in den Staatsanwaltschaften in NRW von 109 im Jahr 2019 auf zuletzt rund 124. Am Montag ließ die wohl bekannteste Staatsanwältin Deutschlands eine Bombe platzen: Die beste Cum-Ex-Ermittlerin, Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker, kündigte überraschend ihren Job in der Kölner Justiz, um für die Nichtregierungsorganisation „Finanzwende“ zu arbeiten.

NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) hatte 2023 vor, Brorhilker einen zweiten Chefermittler an die Seite zu stellen. Das wurde ihm als „Entmachtungsversuch“ ausgelegt. Limbach zog zurück, scheint aber Brorhilker nachhaltig verprellt zu haben.

Wie ist die Lage in den Staatsanwaltschaften?

Die Beschäftigten müssen immer mehr Fälle bearbeiten. Fast 243000 blieben 2023 unbearbeitet. Die Personalausstattung bewerten die Landesregierung und der Bund der Richter und Staatsanwälte NRW (BDR) unterschiedlich. Laut Minister Limbach seien derzeit 96 Prozent der Stellen in NRW besetzt. Bei den Generalstaatsanwaltschaften in Düsseldorf, Hamm und Köln gebe es derzeit rund 65 offene Stellen, hieß es am Freitag. Der BDR geht davon aus, dass in NRW bis zu 500 Leute für den Posten fehlen.

Wie will das Land Nordrhein-Westfalen helfen?

Erstens sollen aus den Gerichten heraus bis Ende 2024 insgesamt 100 Stellen an die Staatsanwaltschaften gehen. Minister Limbach bewertet dies als „Ausdruck großer Solidarität“. Die Staatsanwaltschaften könnten diese Stellen selbst besetzen, Gerichte könnten aber auch Richter zu Staatsanwaltschaften „abordnen“. Zweitens wurde schon 2023 die Zahl der Ausbildungsplätze in der Rechtspflege auf 350 erhöht. Rechtpfleger sind zuständig für die Vollstreckung von Geld-, Freiheits- und Bewährungsstrafen. Drittens soll der „Quereinstieg“ in die Staatsanwaltschaften erleichtert werden: Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte sowie Bürokaufleute kommen dafür infrage. Volljuristen sollen motiviert werden, als Rechtspfleger oder Amtsanwälte zu arbeiten.

Welche Noten müssen Bewerber haben?

Bisher mussten Bewerber für die Top-Jobs in der Justiz ein „Prädikatsexamen“ vorzeigen. Das bedeutet mindestens 9,0 Punkte im zweiten Staatsexamen. Das gilt zwar immer noch, aber Bewerber, die mindestens 7,6 Punkte erreichen, konnten sich zuletzt schon in NRW Hoffnung auf eine Stelle in einer Staatsanwaltschaft machen, falls sie „zusätzliche Qualifikationen“ mitbringen. Die Notengrenze wird nun sogar auf 7,0 Punkte abgesenkt, falls weitere Qualifikationen vorhanden sind. „Wenn wir sagen, wir meißeln die 9,0 Punkte in Stein, werden wir mit viel weniger Menschen in der Justiz auskommen müssen“, sagte Benjamin Limbach.

Wie äußert sich der Berufsverband?

Der Bund der Richter und Staatsanwälte NRW hält die Pläne für „völlig unzureichend“. Eine bessere Grundbesoldung, bessere Arbeitsbedingungen und Aufstiegsmöglichkeiten seien geeignetere Instrumente, um Personalprobleme zu lösen. Das Absenken der Noten-Hürde sei „völlig falsch“, sagte Verbands-Geschäftsführer Gerd Hamme dieser Redaktion. Der Rechtsstaat lebe von der Qualität der Absolventinnen und Absolventinnen.

Was plant Limbach bei anderen Justizberufen?

Die Rede ist von 40 wegfallenden Gerichtsvollzieherstellen. Das NRW-Justizministerium reagierte auf Anfrage vorerst mit Zurückhaltung. Die Haushaltsplanung befinde sich derzeit noch in einem „sehr frühen Stadium“. Da einer Entscheidung ein „intensiver Abstimmungsprozess“ vorausginge, könnten momentan noch „keine belastbaren Angaben über den jeweiligen Diskussionsstand gemacht werden“. Das Ministerium wies jedoch ebenso auf „das Gebot der Haushaltsdisziplin“ hin.

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