lit.Cologne in Köln IslandsIslands Premierministerin Jakobsdóttir und Ragnar Jónasson stellen ihren Krimi „Reykjavík“ vor

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Ist das eine Merkel-Raute, die wir da sehen? Katrín Jakobsdóttir und Ragnar Jónasson im Dorint Hotel.

Katrín Jakobsdóttir

Auf Einladung der lit.Cologne stellte sie ihren ersten Krimi vor, den sie zusammen mit dem Autor Ragnar Jónasson, dem Verfasser der „Hulda“-Trilogie, geschrieben hat.

Sie ist sicherlich eine der lustigsten Regierungschefinnen der Welt. Seit sechs Jahren ist Katrín Jakobsdóttir Premierministerin in Island. Der Stippvisite in Köln ist eher inoffizieller Natur: Auf Einladung der lit.Cologne stellte sie ihren ersten Krimi vor, den sie zusammen mit dem Autor Ragnar Jónasson, dem Verfasser der „Hulda“-Trilogie, geschrieben hat.

Ohne Entourage unterwegs zu sein, sei „sehr seltsam – denn ich verlaufe mich“, gibt sie grinsend zu. Ansonsten habe ich Bodyguards, und die sagen mir, wo ich lang muss.“ Als sie vor dem Interview in der Stadt unterwegs war, hatte sie für einen kurzen Moment sogar den Namen ihres Hotels vergessen. „Normalerweise muss ich mir nichts merken!“, sagt sie und lacht schallend.

Suche nach einer Vermissten

Ihr Buch „Reykjavík“ erzählt eine traurige Geschichte von einem Mädchen, das Mitte der 50er Jahre von einer einsamen Insel vor der Küste Islands verschwand. Über Jahrzehnte wird die mysteriöse Geschichte immer wieder von den Zeitungen aufgegriffen. 1986 widmet sich der junge Journalist Valur noch einmal der Geschichte und kommt der Wahrheit gefährlich nahe – zu nahe, denn er stirbt, als er vor einen Bus gestoßen wird. Seine jüngere Schwester Sunna macht sich zur Aufgabe, das Vermächtnis ihres Bruders weiterzuführen, auch wenn das bedeutet, dass sie sich mit Vertretern der isländischen Oberschicht anlegen muss.

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Das Buch ist ein fast schon typisches Corona-Produkt. Als Katrín Jakobsdóttir im März 2020 an der Feier zum 70-jährigen Jubiläum des Isländischen Symphonieorchesters teilnahm, „haben alle um mich herum gehustet, und ich dachte: Ja, es ist hier!“ Um das Buffet machte sie an diesem Abend einen weiten Bogen, in den nächsten Monaten drehte sich für als Regierungschefin alles um die Pandemie. „Ich war die ganze Zeit nur im Büro gesessen, hatte nur Kontakt zu den anderen Regierungsmitgliedern und meiner Familie. Ich brauchte irgendwas anderes, mit dem ich mich beschäftigen konnte.“ So griff sie die Idee auf, die ihr Ragnar Jónasson vorgeschlagen hatte: Zusammen einen Krimi zu schreiben. „Das war meine Therapie während der Pandemie! Generell ist es für einen Politiker immer gut, sich auch einmal seiner kreativen Seite zu widmen.“

Und Katrín Jakobsdóttir ist vom Fach: Sie schrieb ihren Master über den bekannten isländischen Krimiautor Arnaldur Indriðason.

Während des Lockdowns telefonierten und mailten die beiden viel, um gemeinsam den Plot zu entwickeln. „Dann haben wir die Kapitel aufgeteilt, was sehr freundschaftlich vonstattenging, denn wir wussten im Prinzip beide, was wir gerne schreiben wollen“, beschreibt Ragnar Jónasson den Prozess. Danach wurden die jeweils fertigen Passagen hin- und hergemailt und darüber diskutiert. „Manchmal waren wir uns gar nicht einig — aber weil es ja Ragnars Idee war, das Buch zu schreiben, konnte er meinen Ideen auch nicht allzu ablehnend begegnen“, lacht Katrín Jakobsdóttir.

Die Geschichte des verschwundenen Mädchens hat keinen realen Hintergrund. „Aber unsere Inspiration waren Fälle von vermissten Personen, von denen es eine Reihe in Island gibt und die in der öffentlichen Wahrnehmung sehr präsent sind.“ Was vielleicht auch daran liegt, dass die Mordrate in Island mit circa zwei pro Jahr sehr niedrig ist.

Jakobsdóttir war sich unsicher, ob die Geschichte irgendjemand interessieren könnte, schon gar nicht außerhalb des Landes. In der Heimat gelang den beiden allerdings 2022 ein Bestseller. Mittlerweile wurde das Buch neben Deutsch auch auf Englisch, Französisch, Schwedisch, Finnisch, Ukrainisch und Bulgarisch übersetzt.

Haben isländische Krimis einen besonderen Sound? Denkt man an Indriðason oder Ragnar Jónassons andere Bücher, kommt einem das Wort „trocken“ in den Sinn. „Was auf jeden Fall viele unserer Bücher gemeinsam haben, ist die Fokussierung auf die Umwelt, das Wetter, die Landschaft – ja, auch vielleicht das Trockene, bedingt durch das Isländische. Das ist sehr anders als im Deutschen oder Französischen mit ihren langen Sätzen und komplizierten Strukturen“, so Jakobsdóttir.

Dass das Buch 1986 spielt, hat einen guten Grund. In diesem Jahr passiert in Island sehr viel: der Start des zweiten Fernsehsenders, das historische Treffen von Reagan und Gorbatschow und Reykjavíks 200-Jahr-Feier, die auch im Buch eine wichtige Rolle spielt, inklusive des 200 Meter langen Kuchens. „Ich kann mich noch genau an seinen Geschmack und den Alkohol darin erinnern“, erzählt Jakobsdóttir. Jónasson hingegen bekam damals nichts vom Kuchen ab. „Ich habe mich wohl nach vorne gedrängelt“, grinst seine Co-Autorin, um ernster hinzuzufügen: „Es war eine Zeit mit vielen Veränderungen und Umbrüchen, bis dahin waren wir eine sehr homogene Gesellschaft.“ Und Jónasson ergänzt: „Gerade das Treffen von Reagan und Gorbatschow hat Reykjavík bekannt gemacht.“

„Und wir haben 1986 zum ersten Mal am Eurovision Song Contest teilgenommen, die Euphorie war so groß, dass wir dachten, wir gewinnen. Sonntagmorgen haben wir uns dann gefragt, was da wohl schiefgelaufen ist“, erinnert sich Jakobsdóttir. Eine Frage, die sich die Isländer – genau wie die Deutschen – häufig stellen mussten. 2020 war Daði Freyr Péturssons Lied „Think about things“ im Vorfeld als heißer Kandidat für Platz 1 gehandelt worden – und dann wurde der ESC gecancelt. „Covid hat uns den Sieg gestohlen!“, findet Katrín Jakobsdóttir und lacht einmal mehr schallend.

Katrín Jakobsdóttir/Ragnar Jónasson: Reykjavík. Krimi, deutsch von Andreas Jäger, btb Verlag, 352 S., 23 Euro.

Die Autoren

Seit November 2017 ist Katrín Jakobsdóttir isländische Premierministerin, von 2009 bis 2013 war die Politikerin der Links-Grüne-Bewegung Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur. Ihren Master schrieb die heute 47-Jährige über Islands bekanntesten Krimiautor Arnaldur Indriðason.

Ragnar Jónasson (Jahrgang 1976) begann seine Krimikarriere mit 17, als er Agatha Christie-Krimis ins Isländische übersetzte. Seinen Durchbruch hatte er 2010 mit dem ersten Band der „Dark Island“-Reihe. Insgesamt wurden seine Romane in 30 Länder veröffentlicht und in 21 Sprachen übersetzt. (HLL)

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